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Am Anfang jedes Singens steht die Intention sich auszudrücken: sie sucht ihre Umsetzung in der Entscheidung, mit wem ich singe, was ich singe, wie ich es präsentiere, welche Arbeitsform ich wähle ...

Da gibt es z.B. die ganze Palette des Singens aus Gender-Identität heraus (sicher nicht die konventionellen Frauen- und Männerchöre, schon eher die Frauenchöre, die aus der feministischen Bewegung hervorgegangen sind), ganz konkret: die Vielzahl an Chören, die als Schwule und als Lesben selbstbewusst seit den mittleren 1970er Jahren in die Öffentlichkeit gingen und sich ihren Platz in der Chorlandschaft oft gegen Vorbehalte und Widerstände erstritten.

Bemerkenswert ist die Vielfalt der lesbischen Frauenchöre, schwulen Männerchöre, schwul-lesbischen gemischten Chöre, gemischten Damenchöre, multisexuellen Chöre: bühnenfüllende Chöre von über 100 SängerInnen und kleine Ensembles mit nur vier SängerInnen . Sie singen Musik von Hildegard von Bingen bis Hildegard Knef, vom Volksgesang bis zur Improvisation, von Gospel bis Abba, mit raffinierten Arrangements, fantasievoller Ausstattung, ausgefeilter Choreografie, pointierter Conference und das sentimental, schillernd oder auch virtuos präsentiert.

Drei Aspekte dieser 'Aktionsform' möchte ich beschreiben:

  • da ist die inzwischen unglaubliche Vielzahl von Chören: bei den letzten Europäischen Schwul-Lesbischen Chorfestivals 'Various Voices' (2001 in Berlin, 2005 in Paris und 2009 in London) präsentierten jeweils zwischen 60 und 70 Gruppen eine spektakuläre Bandbreite an Repertoire und meist ausgereiften Bühnenauftritten, mit teilweise aufwändigen Bühnenshows, größtenteils in hervorragender musikalischer Qualität und oft von bemerkenswerter und berührender Authentizität - die sich von konventionellen Chortreffen fundamental unterscheiden.
  • die schwul-lesbische Chorszene ist, unabhängig von ihrem lokalen Wirken, untereinander in besonderer Weise vernetzt (in Europa wie in Nord-Amerika) und hat sich neben ihrem musikalischen Wirken das szeneeigene Engagement für Toleranz, Menschenrechte und Solidarität mit Minderheiten programmatisch zu eigen gemacht.
  • Musikgeschichte und Musiksoziologie  beschreiben gerne den entscheidenden Schritt, mit dem sich durch die Gründung der ersten Chorvereinigungen um 1800 das bürgerliche vom aristokratischen und kirchlichen Musikleben emanzipierte; ein nächster emanzipatorischer Schritt des Singens war - in Deutschland - die national gesinnte burschenschaftliche Bewegung in der Mitte des 19.Jh.; Musikgeschichte schrieben ebenso die Arbeiterchöre in den 1920er und 1930er Jahren und als deren Erben die politisch motivierten Chorgründungen der 1970er; gewissermaßen aus dieser Bewegung wiederum entstanden die Homo-Chöre in den 1970er und 1980er Jahren (die inzwischen sogar in bisher gar nicht homosingenden Randstaaten Europas zu Neugründungen führten: Spanien, Baltikum, Kroatien, ...).

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